Erfahrungsbericht Jan

„Der hat rechtliche Betreuung, der darf das nicht!“

Erfahrungsbericht Jan

Zur Frage nach Erfahrungen mit Stigmatisierung gegenüber (Menschen mit) psychischen Erkrankungen erreichte uns diese Zuschrift eines Kollegen:

Für mich ist ein typischer, oft und immer wieder vorkommender Fall von Stigmatisierung der Folgende: In meiner Tätigkeit als ambulanter Betreuer begleite ich eine psychisch erkrankte Person zu Institutionen des Sozialraumes (Beispiele: Kontakt zum Vermieter). Die Person stellt mich als Betreuer von der Brücke vor. Von dem Moment an ist es häufig so, dass der/die Betreute adhoc nicht mehr Teil des Gespräches ist: Die Leute sprechen dann mit allen weiteren Themen - auch mit direkten Fragen zum oder an den Klienten - direkt mich an. Selbst wenn ich dann versuche, die Betreuten wieder ins Boot zu holen („Herr XY, das können Sie doch viel besser beantworten als ich“), wenden die Personen sich direkt im nächsten Satz wieder an mich. Selbst bei Hausärzten ist das regelmäßig so: „Ah! Ein Betreuer! Regel ich das doch mit dem!“

Das für mich gefühlte Stigma: „Der hat einen Betreuer, der kann das nicht, der versteht das nicht!“

Ich arbeite ja auch als ehrenamtlicher, rechtlicher Betreuer. Da geht das sogar noch weiter. Beispiel: Ich habe bei einem Betreuten im Betreuerausweis stehen, dass ich (ausschließlich!) für die finanziellen Angelegenheiten bestellt bin. Der Betreute kommt mit einem offenen Bruch ins Krankenhaus und beantwortet die Frage „Haben sie einen gesetzlichen Betreuer?“ bei der Aufnahme wahrheitsgemäß mit „Ja!“. Schwupps bin ich im System und bekomme einen Anruf mit der Bitte, der OP am Bein zuzustimmen. Ich lehne das natürlich ab und erkläre, dass ich nur für finanzielle Belange zuständig bin und dass der Betreute ein mündiger Bürger ist, der seiner OP selbst zustimmen kann und muss. Ich habe schon mehrfach erlebt, dass in solchen Fällen längere Diskussionen folgen und meine Aussage nicht (einfach) akzeptiert wird.

Das Stigma: „Der hat rechtliche Betreuung, der darf das nicht!“

Das hab ich auch schon erlebt: Ein Klient versucht mehrfach telefonisch in meiner Anwesenheit Dinge mit Behörden zu klären und blitzt knallhart ab. Unterstützung wird verweigert. Es wird nicht zielführend weitergeleitet. „Da sind wir nicht zuständig!“. Dann rufe ich da an und stelle mich als Betreuer vor: Schon ist alles kein Problem mehr.

Das Stigma: „Die Psychos mit ihrem Knall nerven! Das halt ich mir vom Hals!“

Erfahrung teilen

Haben Sie Erfahrungen mit Vorurteilen gegenüber (Menschen mit) psychischen Erkrankungen gemacht und Wünsche zu einem diesbezüglich besseren gesellschaftlichen MiteinAndersSein?

Dann lassen Sie uns gern über das Kontaktformular unten oder unsere E-Mail-Adresse (praevention@bruecke-flensburg.de) teilhaben. Eine anonyme Veröffentlichung Ihres Textes ist möglich. Wir veröffentlichen Einsendungen, die wir vor dem Hintergrund der Kampagne als passend erachten, die zu Diskussionen anregen und damit auch zu einer Verbesserung der Situation beitragen können. Dies kann unserer Ansicht nach nur dann gelingen, wenn auch Kritik respektvoll angebracht wird und Abwertungen von Personen und Institutionen keinen Platz haben. In jedem Falle kommen wir mit Ihnen als Einsender*in dazu gern ins Gespräch.