Ich kann Selbstmitgefühl

Ich kann Selbstmitgefühl – du auch?

Was ist Selbstmitgefühl?

Das Konzept von Selbstmitgefühl wurde von der amerikanischen Psychologie-Professorin Kristin Neff begründet. Es beschreibt eine positive und wertschätzende Sicht auf die eigene Person, insbesondere beim Erleben negativer Gefühle. 

Selbstmitgefühl umfasst drei Komponenten:

Freundlichkeit mit sich selbst

Hierunter wird ein liebevoller und akzeptierender Umgang mit sich selbst verstanden. Häufig wird hierbei auf die Perspektive eines/einer guten Freund*innen verwiesen: Behandle dich selbst, wie eine liebe Person aus deinem Umfeld dich behandeln würde.

Verbundenheit mit einem Menschen

Selbstmitgefühl beinhaltet, dass schwierige Erfahrungen und menschliches Leid ein Teil unseres Lebens sind, und akzeptiert diese als solche als verbindendes Element des Menschseins. Darin unterscheidet sich dieses Konzept von Selbstmitleid, welches durch ein Gefühl von Isolation gekennzeichnet ist, welches aus einem wahrgenommenen Unterschied zwischen der eigenen Situation und der anderer Menschen resultiert („So etwas passiert nur mir und nicht allen anderen“).

Achtsamkeit

Achtsam zu sein bedeutet eine absichtsvoll gerichtete Aufmerksamkeit auf das, was ist, und die Anerkennung dessen, und zwar ohne es beurteilen oder verändern zu wollen. In schwierigen Situationen neigen wir oft dazu, uns für negative Emotionen oder vermeintliche Unzulänglichkeiten zu kritisieren. Das ist selten hilfreich. 

Steckt man also in einer solchen Situation, kann es helfen, zunächst einmal einfach nur zu beobachten, was gerade los ist. Es gilt zum Beispiel, den eigenen Stress erst mal nur zu bemerken und stehen zu lassen im Sinne von: „Ich merke, ich bin angespannt und es ist gerade ganz schön viel“. Kommt nun noch der Aspekt der Verbundenheit hinzu, könnte ich mir sagen: „Jeder Mensch hat mal Phasen, in denen man kräftemäßig an seine Grenzen kommt. Mit dieser Erfahrung bin ich nicht allein“. Dann könnte ich mir überlegen, was meine beste Freundin jetzt tun oder zu mir sagen würde. Vielleicht würde sie mich einfach in den Arm nehmen und mich am nächsten Wochenende in mein Lieblingscafé einladen. Dann würde sie vermutlich etwas so Kluges sagen wie: „Schau mal, was du alles schon geschafft hast, du kannst wirklich stolz auf dich sein. Es kann nicht immer alles glatt laufen, aber bis jetzt hat sich doch immer alles irgendwie wieder zurecht geruckelt. Ich bin mir ganz sicher, du stehst diese Phase durch und es kommen bald wieder bessere Zeiten. Und falls du das Gefühl hast, du musst mal mit jemandem drüber sprechen, bist du nicht allein. Du hast ja meine Nummer.“ Leicht vorstellbar, dass die gefühlsmäßige Konsequenz ganz anders aussieht, als wenn man sich stattdessen dafür verurteilt, nicht weiter zu wissen. Auch die Forschung beschäftigt sich damit, welche positiven Folgen Selbstmitgefühl für unsere (psychische) Gesundheit hat.

Welche positiven Auswirkungen hat Selbstmitgefühl?

Menschen, die selbstmitfühlender mit sich umgehen, sind:

  • eher zufrieden und glücklich
  • motivierter
  • körperlich fitter
  • weniger ängstlich und depressiv
  • grübeln weniger und haben weniger selbstbezogene negative Gefühle
  • in funktionierenden Beziehungen
  • Resilienter im Umgang mit schwerwiegenden Herausforderungen

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Kristin Neff hat sich zudem damit beschäftigt, welche Vorteile das Konzept des Selbstmitgefühls gegenüber dem des Selbstwerts hat. Letzteres bringt nämlich so einige Nachteile mit sich, zum Beispiel Narzissmus, der Neigung zu Vergleichen mit anderen und dem Wunsch, besser und besonderer als andere zu sein. Darüber hinaus kommt unser Selbstwert häufig an seine Grenzen, wenn wir mit Misserfolg konfrontiert sind – hier bietet das Selbstmitgefühl eine hilfreiche Alternative, weil es den Wert einer Person nicht von Erfolg oder Vergleichen mit anderen abhängig macht. Deshalb ist Selbstmitgefühl hilfreich dabei, unabhängig von den Umständen einen stabilen Selbstwert zu entwickeln, die eigene Person angemessen zu bewerten sich psychisch wohl zu fühlen. 

Und die gute Nachricht: Selbstmitgefühl kann erlernt werden!

Selbstmitgefühl ist eine Fähigkeit, die wir, wie alle anderen lernen und trainieren können. Dabei gilt natürlich: Dafür brauchen wir Geduld. Nur die wenigsten von uns setzen sich das erste Mal als Kind auf einem Fahrrad und können direkt ohne Stützräder losfahren. Alltägliche Situationen können genutzt werden, um zum Beispiel ein unangenehmes Gefühl als Anlass dafür zu nehmen, diesem mit Achtsamkeit und Verständnis zu begegnen und entsprechende selbstmitfühlende Verhaltensweisen mehr und mehr zur Routine werden zu lassen.

Mehrere Übungen in Anlehnung an Kristin Neff hat Daniela Blickhan (2018) in ihrem Buch zu Positiver Psychologie veröffentlicht. Damit du direkt loslegen kannst, haben wir dir hier eine der Übungen mitgebracht:

Tagebuch für Selbstmitgefühl

Führen Sie eine Woche lang ein Tagebuch für Selbstmitgefühl. Schreiben Sie täglich etwas hinein, am besten abends, wenn sie ein paar ruhige Momente haben und den Tag Revue passieren lassen können. Schreiben Sie in ihrem Tagebuch über Ereignisse dieses Tages, auch über solche, für die Sie sich kritisieren. Betrachten und reflektieren Sie aber jedes Ereignis aus einer Perspektive von Achtsamkeit, Verbundenheit und Freundlichkeit.

Achtsamkeit: Nehmen Sie Ihre Emotionen wahr, die als Folge einer Selbstverurteilung oder Schwierigkeit spürbar waren. Schreiben Sie über diese achtsam und aufmerksam, nicht dramatisierend und auch nicht herabwürdigend. Schreiben Sie einfach über Ihre Gefühle.

Verbundenheit: Beschreiben Sie, wie sie diese Erfahrung mit allen Menschen verbindet, in dem Sinne, dass alle Menschen nicht perfekt sind und jeder auch einmal solche Erlebnisse hat. Vielleicht wird Ihnen dabei auch bewusst, welche Umstände zu ihrer Reaktion geführt haben.

Freundlichkeit: Trösten Sie sich selbst mit Verständnis und Freundlichkeit, so wie sie einen guten Freund oder ein Kind trösten würden.

Wenn sie auf diese Weise ein Tagebuch eine Woche lang führen, können Sie Ihre Gedanken und Gefühle reflektieren und auf eine mitfühlende Art und Weise verarbeiten. Die Haltung des Selbstmitgefühls wird Ihnen dann mehr und mehr zur Gewohnheit werden.

Bente Kalbes, Januar 2025
Diplom-Psychologin

Wenn du mehr über das Thema Selbstmitgefühl erfahren möchtest, empfehlen wir dir die folgende Lektüre:

  • Blickhan, D. (2018). Positive Psychologie: Ein Handbuch für die Praxis. Junfermann Verlag GmbH. (Hier insbesondere das Kapitel 9 zu Selbstwert und Selbstmitgefühl)
  • Neff, K. (2013). Selbstmitgefühl: Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden. Kailash Verlag.
  • Neff, K., & Germer, C. (2020). Selbstmitgefühl - das Übungsbuch: ein bewährter Weg zu Selbstakzeptanz, innerer Stärke und Freundschaft mit sich selbst. Arbor Verlag.

Wer lieber hört oder sieht und gut Englisch spricht, dem seien folgende Links mit Kristin Neff empfohlen: