Liebe Leudde,
in unserem heutigen Funke könnt ihr einen Text von Sophia lesen, in dem der Katastrophendenker zu Wort kommt. Dieser ist ein gerissenes kleines Kerlchen in Existenznöten und kommt dem einen oder der anderen von euch möglicherweise sehr bekannt vor. Zum Glück verrät er euch auch ein paar kleine Geheimnisse, die ihn vielleicht weniger beängstigend und sogar ein bisschen sympathisch machen. Wir wünschen euch viel Freude beim Lesen.
Der Katastrophendenker
Hallo Welt, meinen Namen möchte ich nicht verraten, ich habe ihn auch schon fast vergessen, denn alle nennen mich wie meinen Beruf: Ich bin der Katastrophendenker. Mein Job ist es, Katastrophen da zu sehen, wo gar keine sind! Ich schüre Angst, wo die Leute bedenkenlos dran vorbeileben. Leider konnte ich noch nicht alle Menschen mit meiner Tätigkeit bereichern, aber bei einer Flensburger Studentin, da war ich erfolgreich. Sie müssen verstehen, Katastrophen sind wie eine seltene Tierart, die vom Aussterben bedroht ist. Ich setze mich dafür ein, dass jede noch so unbedenkliche Situation Sie bis in den Schlaf verfolgt und nicht mehr loslässt. In meinem Repertoire führe ich auch die Prüfungsangst, den Leistungsdruck, und selbstverständlich habe ich mich in Sachen „Wie nehme ich jemandem sein Selbstvertrauen“ fortbilden können. Ich selbst existiere eigentlich nur durch meinen Beruf, denn ein großes Geheimnis, das ich mit mir trage, ist, dass es mich eigentlich gar nicht gibt. Ich wohne in den Köpfen der Leute und bin höllisch damit beschäftigt, mich zu verstecken. Ich darf nicht entdeckt werden, denn wenn das passiert, dann verfliegt meine Existenz. Sie sehen, ich baue auf wackligem Boden, aber ich mag das Risiko. Und was für ein glückliches Erfolgsgefühl ich verspüre, wenn ich meine Klienten um eine Nacht Schlaf bringe, das ist es allemal wert! Ich bin ja der Meinung, dass die Leute definitiv zu gedankenlos ihren Tag durchleben. Ich lasse meine Klienten das Gefühl verspüren, dass sie in der absoluten Eigenverant-wortung ihrer Emotionen stehen und dass man sich etwas wie eine Depression oder Angststörung nun mal selbst ausgesucht hat.
Sicher habe ich Sie neugierig auf meine Arbeit gemacht, deshalb ist hier mein Erfolgsrezept: Ist der Gedanke des Scheiterns einmal eingepflanzt, verwurzelt er sich schnell, wächst und gedeiht. In Zukunft wird mit jeder Prüfung die Angst vorm Scheitern größer. Vereinzelt lassen sich hier schon die ersten Erfolge verzeichnen. Ein Teufelskreislauf ist geschaffen und bietet eine gute Basis für das weitere Vorgehen. Wenn das Scheitern zu blühen beginnt, ist das ein guter Moment, das Selbstvertrauen einwachsen zu lassen, aber nicht, dass es sich integriert, nein, das würde ja all meine Arbeit kaputt machen! Ich umschlinge es, erdrücke es, halte es fest und drehe seine eigentlich gute Intention um: Der Klient hat nun Selbstvertrauen in das Scheitern! Ich lege damit den wichtigen Grundstein für meine eigentliche Aufgabe: Das Katastrophendenken. Die Katastrophe kann jeden Tag eine andere sein. Je nach Schwäche des Klienten gilt es, ihm möglichst viel Angst durch große, große Unwahrheiten einzuflößen. Dreistigkeit gewinnt: Je größer die Katastrophe, desto effizienter der Gewinn. Ich ziehe alle Register: Über den Verlust des ersten Hamsters, über die gescheiterte Beziehung und die damit verbundene ewige Einsamkeit, über Krankheit, über die Endlichkeit aller schönen Dinge bis hin zum Tod. Und es spielt keine Rolle, wie hoch da die Wahrscheinlichkeiten sind oder dass es in der Vergangenheit ähnliche Situationen gab, die keinen Grund zur Sorge gegeben haben. Das interessiert nicht. Ich möchte manipulieren und aufmerksam machen auf all das Schreckliche in dieser Welt! Vor langer Zeit habe ich selbst eine Therapie gemacht, und mein Therapeut hat mir empfohlen, all meine Sorgen einfach aufzuteilen. Ich habe sehr lange unter dem Katastrophendenken gelitten und mir jede Zukunft verbaut. Und jetzt, wo ich so drüber nachdenke, habe ich eigentlich am meisten Angst vor dem Alleinsein. Und wenn ich ehrlich bin, dieses Versteck-Spiel ist auf Dauer auch echt anstrengend. Ich werde mies bezahlt und habe trotzdem nie Zeit für mich, weil ich immer so damit beschäftigt bin, nicht aufzufallen. Und mich fragt keiner, wie es mir geht! Es reicht ein kleiner aufmerksamer Moment und meine Deckung ist enttarnt! Können Sie sich vorstellen, unter was für einem Druck ich arbeite? Ich glaube, ich muss bald wieder in die Klinik, ICH GLAUBE, ICH HABE BURNOUT! Hallo? Ist da jemand? Ich fühle mich gerade so unsichtbar.
Vielen lieben Dank, Sophia, für diese charmante Sichtweise auf das kleine Männchen, das uns nach der Lektüre irgendwie fast ein bisschen leidtut. Aber auch nur fast ;-). Allen, die sich in dieser Geschichte wiedergefunden haben, wünschen wir Mut und Kraft, „ihren“ Katastrophendenker ein bisschen besser kennenzulernen und ihn manchmal nicht so ganz ernst zu nehmen.
In diesem Sinne: Bis nächste Woche und …
… euch gute Tage und viel Gesundheit.
Bis bald, Bente und Roger
Präventionsteam der Brücke Flensburg
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